"Es hilft, den Ängsten und Sorgen Raum zu geben"

In Anbetracht der Klimakrise fühlen sich viele Menschen ängstlich und unsicher. Dipl.-Psych. Nele Dippel vom Institut für Psychologie der HU widmet sich diesen Gefühlen in einer Studie. Im Interview erklärt Sie, was Krisensituationen mit der Psyche machen und welche Strategien es im Umgang mit Ängsten und Sorgen gibt.

Derzeit sind Krisen allgegenwärtig. In diesen Zeiten sind sehr viele Menschen verunsichert oder ängstlich und sorgen sich um ihre Zukunft. Was machen diese Krisenszenarien aus psychologischer Sicht mit einem?

Dipl.-Psych. Nele Dippel: Krisen destabilisieren unsere Sicherheit zum einen ganz objektiv, wenn man z.B. Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Sie sorgen zum anderen aber auch für individuell starke Gefühle wie Unsicherheit, Unkontrollierbarkeit oder Ohnmacht.
Sind Krisen im Alltag sehr präsent, sind auch die damit einhergehenden Gefühle oder Sorgen häufiger und im Alltag relevanter. Die Beschäftigung mit negativen Folgen, Gedanken oder Gefühlen führt zu einem dauerhaften erhöhtem Stresserleben und auch Anspannung. Eine Folge davon kann zum Beispiel sein, dass Menschen sich eher zurückziehen und auch im Alltag plötzlich überall Unsicherheit sehen. Es kann sich aber auch in sicherheitssuchendem, oder sehr emotionalen Verhalten zeigen. Beispielsweise, wenn Wut an einzelnen ausgelassen wird, die als Sündenbock dienen, beispielsweise Wut auf Klimaaktivist:innen. Grundsätzlich hängt die individuelle Reaktion von vielen verschiedenen Faktoren ab, die auch an der eigenen Lebenssituation hängen (d.h., wie relevant ist diese Krise für mich? Wie stark wirkt sie sich potentiell und aktuell auf mein Leben und meine Zukunft aus? Auf welche Strategien im Umgang mit Krisen kann ich zurückgreifen).
Zusammenfassend produziert die „Polykrise“ bei den meisten Menschen Gefühle von Unsicherheit, die dann in verschiedenen anderen Gefühlen und Handlungsstrategien resultiert.

Welche konkreten praktischen Tipps haben Sie und was raten Sie Menschen, die beispielsweise aufgrund der Klimakrise ängstlich sind und sich sorgen?

Dippel: Grundsätzlich ist es wichtig, dass es in einer gesamtgesellschaftlichen Krisensituation, wie beispielsweise der Klimakrise nicht oder nur schwer möglich ist, sich der Krise und den damit einhergehenden Sorgen oder Belastungen zu entziehen. Im Umgang mit der Klimakrise gibt es Strategien, die hilfreich sein können. Dazu gehören die Validierung von Gefühlen („es ist ok und verständlich, Angst zu haben“), soziale Unterstützung und Handeln: Es hilft zunächst, diesen Ängsten und Sorgen Raum zu geben und diese als in dieser Situation notwendig und nachvollziehbar anzuerkennen. Sie sollten nicht das ganze Leben bestimmen, aber grundsätzlich sind Gefühle hilfreich und meistens gute Impulsgeber für aktuelle Bedürfnisse.
Im nächsten Schritt ist es oft hilfreich es sich mit anderen (möglichst Gleichgesinnten oder Betroffenen) auszutauschen und so ein wenig Entlastung zu erfahren. Es kann eine gute Erfahrung sein, zu merken, dass Sorgen geteilt werden aber auch Zusammenhalt in der Krise da ist.
Schließlich ist es empfehlenswert, ins positive Handeln zu kommen, also sich z.B. gemeinsam zu engagieren, aktiv zu werden. Diese Handlungen dienen dabei nicht nur der Umwelt, sondern ganz besonders auch den betroffenen Personen selbst. Die eigene Handlungsfähigkeit (bzw. Selbstwirksamkeit) zu erhalten, kann ein zentraler Aspekt im Umgang mit belastenden und umfassenden bedrohlichen Situationen wie der Klimakrise sein.
Beispiele für Aktivitäten im Kontext der Klimakrise können sein, einen Bürger:innenrat zu gründen, sich zu engagieren, dass die Stadt als ersten Energieversorger regenerierbare Energien einsetzt oder ähnliches. Die Aktivitäten sollten nicht zum Ziel haben, die ganze Welt zu retten. Aber in Aktivität zu kommen und beispielsweise in der Nachbarschaft anzufangen, hilft der Person selbst wie auch der Welt.
Wie Menschen gut mit diesen Klimagefühlen umgehen können, untersuchen wir auch gerade in einer aktuellen Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Julia Asbrand.

Wie wurde mit der Krisenbewältigung in der Vergangenheit umgegangen?

Dippel: Der Rückbezug auf vergangene Situationen ist aus unterschiedlichen Gründen oft schwierig. Vergangene Zeiten und auch (bewältigte) Krisen werden in der Rückschau oft als konsistenter und auch stringenter erinnert. Die Einschätzung ist somit immer durch einen subjektiven Anteil gefärbt. Aktuell fehlen vergleichende Studien über individuelle Krisenbewältigungsmechanismen.
Grundsätzlich ist es aber so, dass Menschen schon immer ähnliche Strategien wie auch jetzt gewählt haben. Eine zentrale Veränderung ist aber die ständige Verfügbarkeit von Informationen über unterschiedlichste Krisenherde und „Liveticker“ über soziale Medien, die nur schwer bewusst umgangen werden können. Das bedeutet, dass Menschen den Krisen teilweise viel direkter ausgesetzt sind und sich ihnen nicht immer entziehen können. Was bei Menschen daraufhin passieren kann (aber nicht unbedingt hilfreich ist), sind beispielsweise Strategien wie Vermeidung („wenn ich nicht hinschaue, gibt es die Krise nicht mehr“), Prozesse wie erlernte Hilflosigkeit („ich kann sowieso nichts tun“), oder kognitive Dissonanz („ich kaufe ja schon nur Erdbeeren im Sommer, da achte ich drauf. Da kann ich auch mal in den Urlaub fliegen.“) oder auch Verantwortungsdiffusion („warum soll ausgerechnet ich was tun? sollen doch die anderen erst mal...“). Natürlich lösen Krisen auch immer Anstiege von Empathie, Solidarität und Engagement aus. Beispiele für diese Entwicklung finden sich in vielen vergangenen krisenhaften Situationen, wie zum Beispiel beim Mauerfall.

Die Studie "Fighting for Future! Psychische Gesundheit und Klimaangst" untersucht den Zusammenhang zwischen den durch die Klimakrise ausgelösten Gefühlen und den eigenen Handlungen. Dazu führen die Forschenden eine etwa 45-minütige Online-Umfrage durch, an der Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren teilnehmen können. Weitere Informationen zur Studie: „Fighting for Future! Psychische Gesundheit und Klimaangst“

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