Alles hängt mit allem zusammen

Expedition: Globale Wechselwirkungen
Projektname: COUPLED

In einer globalisierten Weltwirtschaft, in der Konsum und Produktion von Gütern weitgehend entkoppelt sind, kommt es ähnlich wie beim Wettergeschehen zu Wechselwirkungen zwischen weit entfernten Orten. Was hat beispielsweise die steigende Nachfrage nach Schweinfleisch auf dem Weltmarkt mit dem Sojaanbau in Südamerika zu tun? Solche Zusammenhänge, ihre Ursachen und Folgen, aber auch ihre politische Steuerbarkeit erforschen Doktorandinnen und Doktoranden im Ausbildungs- und Forschungsnetzwerk COUPLED.

Foto: Falk Weiß

Wenn sich vor der Westküste Südamerikas die Meeresoberfläche erwärmt und die Passatwinde sich abschwächen, dann haben wir es mit „El Niño“ zu tun. Das globale Wetterphänomen zieht die gesamte Südhalbkugel in Mitleidenschaft: Überschwemmungen in Zentral- und Südamerika – langanhaltende Trockenheit in Südostasien, Australien und Teilen Afrikas. Dass Temperatur- und Luftdruckveränderungen an einem Ort das Wetter in weit entfernten Gebieten bestimmen, leuchtet ein. Meteorologen haben für solche Zusammenhänge den Begriff „Teleconnection“ geprägt. Das Konzept aus der Klimaforschung lässt sich aber auch auf andere Wissensgebiete übertragen. Geografen etwa wenden es an, um die Bodennutzung in einer globalisierten Welt zu erforschen. „Wir versuchen zu verstehen, wie Veränderungen an einem Ort auf der Welt Folgen für die Bodennutzung an einem anderen Ort hat“, sagt Jonas Østergaard Nielsen vom Institut für Geografie der HU Berlin.

„Telecouplings“ als wissenschaftliches Konzept

Ein Beispiel für solche „Telecouplings“, also Wechselwirkungen über große Distanzen hinweg, ist die Produktion von Sojabohnen in Südamerika. Angetrieben von der steigenden Nachfrage nach Schweinefleisch, vor allem in China, verfüttern Mastbetriebe in Europa immer mehr Soja. Um den Hunger nach Fleisch zu stillen, werden dafür in Argentinien und Brasilien Millionen Hektar kleinbäuerliches Ackerland, Grasland und Regenwald zu riesigen Sojaanbauflächen. Das hat Folgen, lokal wie global: Bauern verlieren ihre Existenzgrundlage, weniger Lebensmittel werden lokal produziert, durch Monokultur und den Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger leidet die Biodiversität. Schließlich setzt der Verlust von Waldflächen Kohlendioxid frei und treibt die Erderwärmung an.

Foto: Falk Weiß

Palmöl, Mais, Kaffee- und Sojabohnen - die wichtigsten Güter im Blick

Aber wie identifiziert man solche Wechselwirkungen in einer globalisierten Weltwirtschaft, in der Konsum und Produktion von Gütern weitgehend entkoppelt sind? Durch welche Akteure werden sie vorangetrieben und welche Möglichkeiten gibt es, sie politisch zu steuern? Diese Fragen untersuchen 14 Doktoranden anhand von Fallbeispielen in dem seit 2018 bestehenden Ausbildungs- und Forschungsnetzwerk COUPLED. Jonas Østergaard Nielsen hat das Programm gemeinsam mit seinem Kollegen Tobias Kümmerle, ebenfalls Professor am Institut für Geografie an der Humboldt-Universität, initiiert. „Wir beschäftigen uns mit den wichtigsten Gütern, die durch die Nutzung von Land produziert werden, unter anderem Palmöl, Mais, Kaffee- und Sojabohnen“, sagt Nielsen über die Auswahl der Fallstudien.

So geht die Anthropologin Anna Frohn Pedersen der Frage nach, wie Arbeiterinnen und Arbeiter in kleinen Goldminen in Tansania auf nachhaltige Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Genauso wie Bergbau sind auch Naturschutzgebiete eine Form der Bodennutzung, und über die wird häufig ebenfalls nicht lokal, sondern in den mitunter weit entfernten Ländern der Geldgeber entschieden. Welche Zielkonflikte dadurch zwischen ihnen und den Bewohnern und Nutzern vor Ort entstehen, untersucht die Umweltforscherin Seyu Qin. In einer weiteren Fallstudie beschäftigt sich die Agrarexpertin Pin Pravalprukskul mit der steigenden Nachfrage nach Hühnerfleisch in Europa und Asien und den Folgen für die Landnutzung in Südostasien. Sie analysiert die Expansion des Maisanbaus, der sich ausgehend von Thailand rasant in die Nachbarländer ausdehnt. Andere Doktorandinnen und Doktoranden untersuchen die Liefer- und Wertschöpfungsketten von Rohstoffen wie Palmöl und Gütern wie Kaffee- und Sojabohnen sowie die Auswirkungen ihres Anbaus vor Ort. So analysiert Tiago Reis beispielsweise, welche Risiken und Potenziale in den Netzwerken und Beschaffungsstrategien des Sojahandels in Brasilien stecken.

Infografik: Pia Bublies

Veränderungen in Wirtschaft und Politik anstoßen

Partner im COUPLED-Netzwerk sind neben der HU und sieben weiteren Universitäten in Europa auch multinationale Lebensmittelproduzenten wie Unilever, Bürgerinitiativen wie Fairtraide International sowie nationale und internationale Behörden. „Wir beziehen nichtakademische Organisationen in die Wissensproduktion mit ein“, betont Nielsen. „Denn wir wollen Akademiker ausbilden, die ihr Wissen später einsetzen, um Veränderungen in großen Unternehmen anzustoßen oder in politischen Institutionen voranzutreiben.“

Foto: Falk Weiß

Soja- und Palmölimporte steigen – Regenwald geht verloren

Wie dringend der Handlungsbedarf ist, lässt sich an Zahlen ablesen. Die Anbauflächen für Soja haben sich nach Angaben des Bundesentwicklungsministeriums in den letzten fünf Jahrzehnten weltweit mehr als vervierfacht – von 28 auf 127 Millionen Hektar. Allein für die Menge, die die Länder der Europäischen Union importieren, gingen 13 Millionen Hektar Boden vor allem in Brasilien und Argentinien verloren, – das ist mehr als drei Mal die Fläche von Nordrhein-Westfalen. Auch die Palmöl-Gewinnung frisst Fläche. In den Regenwaldregionen Indonesien und Malaysias hat sich die Anbaufläche in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht – auf jetzt 17 Millionen Hektar. Daran hat der britisch-niederländische Konzern Unilever, zu dem bekannte Marken wie Langnese oder Dove gehören, seinen Anteil. Denn 10 bis 15 Prozent des weltweit gehandelten Palmöls werden von Unilever verarbeitet.

Foto: Falk Weiß

Foto: Falk Weiß

„Mit „COUPLED“ werden wir herausfinden, ob das Konzept der Telecouplings uns hilft zu verstehen, wie sich die Entkopplung von Produktion und Konsum auf die weltweite Landnutzung auswirkt und wie wir dies regulieren können“, sagt Nielsen. „Und wenn nur Unilever bereit ist, seine Unternehmensstrategie ein bisschen zu verändern, dann bringt das schon einen großen Nutzen für die Nachhaltigkeit.“

Foto: Falk Weiß

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