Wissensreservoir Land
Expedition: Wissenschaftsjahr 2022 - Nachgefragt
Projektname: Geowissenschaftliche Landpartie
Auf dem Land zeigt sich besonders deutlich, dass wir in einer Zeit des Wandels und der Transformation leben: Die Energiewende wird in Windkraftanlagen oder Solarfeldern sichtbar, der Klimawandel zeigt sich in vertrockneten Landschaften oder sinkenden Wasserspiegeln. Die Menschen im ländlichen Raum sind Akteurinnen und Akteure oder Betroffene der Veränderungen, oft beides zusammen. Mit der Geowissenschaftlichen Landpartie wollen Forschende aus den Geowissenschaften mit der Bevölkerung über die neuen Herausforderungen reden und das lokale Wissen und den Erfahrungsschatz in die notwendigen Transformationsprozesse und ihre künftige Forschung einbeziehen.
„Ein Bier, bitte!“ Das ist an diesem frühsommerlichen Donnerstag Mitte Mai im Bürgerhaus von Bad Liebenwerda der meist gesagte Satz des Abends. Und je öfter diese Worte fallen, desto erfolgreicher ist die heutige Veranstaltung, denn jeder Besucher bekommt einen Freigetränk-Voucher. Unter dem Motto „Auf ein Bier mit der Erde“ treffen hier Forschung und Bevölkerung aufeinander, so dass Forschende aus der Geowissenschaft mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des brandenburgischen Ortes ins Gespräch kommen können, um über die Zukunft der Region zu reden und voneinander zu lernen. Diese Art von Bürgerdialog wird als Experiment im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2022, das unter dem Motto "Nachgefragt" steht, begleitet von Dr. Theresa Frommen von der Humboldt-Universität zu Berlin und ihrer Kollegin Dr. Leona Faulstich von der Freien Universität Berlin. Ihr Ziel ist es, einen Leitfaden für Forschungsprojekte auf dem Land zu entwickeln, die eine Kommunikationsstrategie in ihre Untersuchungen einbinden möchten.
Etwa zwei Dutzend Personen sitzen in dem Saal des Bürgerhauses, vor ihnen ein Pils und lauschen dem Geologen Dr. Silvio Janetz von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zum Thema „Wie wirkt sich der Braunkohleausstieg auf unser Grundwasser aus?“. Im Anschluss präsentiert die Geografin Prof. Tobia Lakes von der Humboldt-Universität zu Berlin ihren Vortrag über „Konflikte von Landnutzungsinteressen im ländlichen Raum – Klimawandel und Wasser“. So weit, so gewohnt. Die Stimmung nach den Vorträgen ist noch etwas zurückhaltend, aber Frommen und ihr Team laden die Gäste ein, an zwei Tischen Platz zu nehmen, um mit den Referenten zu diskutieren. Eine Gesprächsrunde beschäftigt sich mit allen Fragen und Anmerkungen zu „Grundwasser & Bergbau“ und die andere zu „Landnutzung & Klimawandel“. Ein großes weißes Blatt Papier liegt auf jedem der Tische, die sich im Laufe der mittlerweile lebhaften Diskussionen mit Stichpunkten füllen. Zwischendurch geht es für (auch alkoholfreien) Biernachschub an die Theke.
Die Wissenschaft muss wieder auf dem Land ankommen
„Kommunikationsprojekte erlebt man eher in den Städten“, sagt die Hydrogeologin Frommen, die am IRI THESys in Berlin-Adlershof sitzt, einem interdisziplinären Institut, das sich mit Mensch-Umwelt Beziehungen beschäftigt. „Aber die Geowissenschaften finden auf dem Land statt, Bergbau findet auf dem Land statt, Wasserversorgung findet auf dem Land statt.“ Es sei also essenziell, dann auch mit der Bevölkerung vor Ort auf dem Land in einen Austausch zu kommen. Die erste Fokusregion des Experiments liegt mit Bad Liebenwerda und Elsterwerda im südlichen Brandenburg und ist besonders interessant, da hier ein gesellschaftlicher Umbruch in Echtzeit zu beobachten ist. „Die große Umgestaltung der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, samt der Transformation zu einer Bergbaufolgelandschaft, macht diese Region nicht nur geologisch spannend, sondern gleichzeitig auch sozialwissenschaftlich, da man mit Konflikten in der Bevölkerung umgehen muss.“
Frommens Ziel ist es, die geowissenschaftliche Expertise aufs Land zu bringen – „einmal um die Bevölkerung mit aktuellen wissenschaftlichen Informationen zu erreichen, auf der anderen Seite aber auch, um von den Personen vor Ort deren Wissen mit aufzunehmen.“ Die erste Hürde dabei ist: Wie erreicht man die Menschen in den kleinen Städten, Orten und Dörfern überhaupt? „Da sich die Wissenschaft schon vor Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten von der Allgemeinbevölkerung entfernt hat, ist es nun problematisch die Leute zu erreichen, die gar nicht Teil der Wissenschaft sind“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Angebote müssten daher niedrigschwellig sein, um Vertrauen zu schaffen und vor allen Dingen, um auch jene Bürger zu erreichen, die kein Eigeninteresse vertreten, sondern von Veränderungen einfach nur betroffen sind – die Friseurin im Ort oder der Pfleger aus dem Dorf.
Bürgerbeteiligung kann Konflikte lösen
„Da können Bürgerdialoge helfen, Angstschwellen abzubauen“, meint Frommen. Eine Studie der Universität Hohenheim aus dem letzten Jahr zeigte zum Beispiel, dass eine Bürgerbeteiligung die Zufriedenheit mit der Demokratie fördert. Gut die Hälfte der Menschen, die sich an der Untersuchung beteiligt hatten, geben an, dass die Bürgerbeteiligung dabei geholfen hat, Konflikte zu lösen. Nur 13 Prozent sagen, es habe ich um eine Show-Veranstaltung gehandelt. Und um letzteren Fall zu verhindern, könnte Wissenschaft noch einmal eine tragende Rolle spielen, da sie sich anders als die Politik auf neutralem Grunde bewegt und keine eigenen Interessen verfolgt. „So dass die betroffenen Menschen ein offenes Angebot bekommen, um zu reden, ohne dass es im Hintergrund zum Beispiel ein Pro oder Contra Bergbau gibt“, meint Frommen.
Die zweite Hürde, nachdem man dann die Leute erreicht hat: Wie bekomme ich einen Überblick über die Fragen, Sorgen und Nöte der Bevölkerung, aber auch über deren Wissen? Denn die Menschen vor Ort sind die Expertinnen und Experten für Probleme und Herausforderungen vor der eigenen Haustür. Die lokalen Begebenheiten könnten von auswärtigen Wissenschaftlern gar nicht so gut eingeschätzt werden wie von den Anwohnern, davon ist Frommen überzeugt. „Das Erfahrungswissen zum Beispiel einer Landwirtin ist immens, denn sie weiß genau, wie ihr Boden funktioniert, wie viel Wasser sie braucht und ähnliches.“ Diese Perspektiven könnten von Anfang an in die Forschung mit einfließen. Ein anderer Fall wäre, wenn zum Beispiel ein Forschungsprojekt herausfindet, dass eine bestimmte Wasserinfrastruktur wissenschaftlich vielleicht sehr gut funktioniert, es für die Bürger aber nicht praktikabel ist, „weil sie das nicht möchten, oder weil es anderweitige nicht bedachte Folgen hat. Dann“, so Frommen, „bringt das ganze Projekt möglicherweise nichts.“
Dialog geht durch den Magen
Um mit den Anwohnern das Eis zu brechen und in ein konstruktives Gespräch zu kommen, hat in Bad Liebenwerda die Einladung auf ein Bier geholfen. In Elsterwerda waren es Kaffee und Kuchen. Und das Konzept ist aufgegangen: „Es ist uns wirklich positiv aufgefallen, wie intensiv und rege die Menschen diskutiert, ihre Lebensgeschichten erzählt und Vorschläge für Problemlösungen gemacht haben“, summiert Frommen die ersten Erfahrungen ihrer geowissenschaftlichen Landpartie. Nun geht es darum, mehr Menschen aus allen Schichten zu begeistern. Hier rätselt das Team, wie die Formate verbessert werden können. Aber es gibt reichlich experimentellen Spielraum, denn die nächsten fünf ländlichen Regionen werden noch in diesem Jahr bereist – danach geht es daran, den Leitfaden
zu entwickeln. Die nächste Station: Die Schwäbische Alb!
Kommende Termine der Geowissenschaftlichen Landpartie.
Share
Folgender Link wurde Ihrer Zwischenablage hinzugefügt. Sie können diesen jetzt nutzen, um ihn in Ihren Netzwerken zu teilen.
Nachhaltigkeitsziele