Materialien, die die Welt verändern

Expedition: Zukunftsmaterialien
Projektname: Center for the Science of Materials Berlin

Grünes Methanol, nachhaltige Batterien, Tandemsolarzellen und 3D-Drucktechnologie – all das entsteht im neuen Materialforschungszentrum der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Center for the Science of Materials Berlin (CSMB). Hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Zukunftsmaterialien, mit denen sich viele der großen globalen Probleme lösen lassen. Forschende verschiedener Disziplinen, Gründerinnen und Gründer sowie universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen ziehen dabei an einem Strang.

Der Chemiker und Unternehmer Dr. Marek Checinski hält im Syntheselabor des Materialforschungszentrums in Berlin Adlershof eine unscheinbare, aber kostbare Substanz in den Händen. Die gelbliche Flüssigkeit in dem winzigen Glasfläschchen ist das Herzstück seines Start-ups „C1 Green Chemicals“, das er gemeinsam mit seinen Mitstreitern im vergangenen Jahr gründete. Mit dieser Flüssigkeit, einem sogenannten Katalysator, können Marek Checinski und sein Team Methanol produzieren. Und zwar auf eine völlig neue Art, emissionsfrei und hocheffizient. Dieses grüne Methanol soll – so die Vision der Gründer – zukünftig Öl und Gas ersetzen. Etwa als klimaneutraler Treibstoff für die Schifffahrt und als Kohlenstoffquelle in der chemischen Industrie.

Der CO2-Fußabdruck wird mitgedacht

Das junge Unternehmen ist einer von vielen verschiedenen Akteuren, die im neu gegründeten Center for the Science of Materials Berlin, kurz CSMB, die Materialforschung auf ein neues Level heben. Der Chemiker Prof. Stefan Hecht ist Gründungsdirektor des Zentrums, das im IRIS-Forschungsbau auf dem Campus Adlershof beheimatet ist, und sagt: „Wir brauchen eine neue Art der Materialforschung.“ Denn bei neuen Materialien – ob sie im Bauwesen, im Fahrzeugbau, in der Elektrotechnik oder in der Textilindustrie verwendet werden – geht es künftig nicht mehr nur um ihre Eigenschaften und Kosten für Rohstoffe, Verarbeitung und Transport. Wie viel Energie die Produktion verbraucht, ob dabei giftige Stoffe freigesetzt werden, welche Ausgangsmaterialien notwendig sind und woher sie kommen, ob unnötige Transportwege anfallen oder wie gut die Rohstoffe nach der Nutzung wiederverwendet und recycelt werden können – all das wird beim Erforschen und Anwenden neuer Materialien immer wichtiger. „Nach mir die Sintflut – das geht nicht mehr“, betont Stefan Hecht.

Prof. Stefan Hecht ist Gründungsdirektor des Center for the Science of Materials Berlin

(© Falk Weiß)

Im Untergeschoss des weitläufigen Forschungsgebäudes – zwei Etagen unter dem Syntheselabor des Start-ups „C1 Green Chemicals“ – beschäftigt sich die Postdoktorandin Dr. Feray Ünlü ebenfalls mit einem Material, das den Weg in die postfossile Ära ebnen soll. Die Forscherin vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) arbeitet als Kooperationspartnerin im sogenannten Joint Lab des CSMB – einem von verschiedenen Forschungsinstitutionen gemeinsam genutzten Labor „Mit solchen Laboren bauen wir bewusst Brücken, indem wir mit starken Forschungspartnern zusammen Projekte bearbeiten und die dafür benötigten Infrastrukturen aufbauen“, sagt Stefan Hecht, der damit auch außeruniversitäre Kooperationen ankurbeln will. Im Joint Lab des Materialforschungszentrums entdecken und optimieren Forschende des HZB und der Humboldt-Universität gemeinsam die Energiematerialien der Zukunft. Dazu gehört etwa Perowskit, ein vielversprechendes Halbleitermaterial, das, in Solarzellen verwendet, Sonnenenergie in Strom umwandeln kann. Und zwar viel effizienter als herkömmliche Solarzellen aus Silizium.

Solarzellen aus Tinte

Klassische Solarzellen werden in einem sehr energieintensiven Verfahren bei hohen Temperaturen aus Silizium hergestellt. Im Gegensatz dazu können Perowskite in Flüssigkeit gelöst, zu Tinten verarbeitet und dann ganz einfach auf verschiedene Trägermaterialien gedruckt werden. Dieses Verfahren ist kostengünstig, energiesparend und sehr flexibel. Die Trägermaterialien können fest oder starr, transparent oder farbig sein und die Solarzelle kann vielfältig eingesetzt werden – etwa auf Fenstern, an Fassaden oder anderen Oberflächen. Beide Verfahren lassen sich auch geschickt kombinieren. Werden Perowskit-Materialien auf herkömmliche Siliziumzellen gedruckt, entstehen sogenannte Tandem-Solarzellen. Diese haben mit über 32 Prozent Wirkungsgrad sogar kürzlich einen Weltrekord erreicht.

Es gibt allerdings einen Haken: Um die Perowskite aufzulösen, werden viele Lösungsmittel benötigt, die teilweise sehr giftig sind. „Ich entwickle Tinten, die weniger giftig sind und weniger giftige Lösungsmittel enthalten als bisher“, beschreibt Feray Ünlü ihre Arbeit. Wie die innovativen Drucktechniken dazu genutzt werden können, Perowskit-Solarzellen im industriellen Maßstab – also großflächig und in hoher Stückzahl – herzustellen, ist ebenfalls Ziel der im Joint Lab arbeitenden Forschenden. „Hier kommen unterschiedliche Forschungsgruppen mit unterschiedlichen Expertisen zusammen“, erklärt Feray Ünlü. „Wir versuchen gemeinsam, die Materialien hier im Joint Lab zu verstehen und zu entdecken und sie dann am HZB in die Anwendung zu bringen.“

Dr. Feray Ünlü entwickelt nachhaltige Tinten für Perowskit-Solarzellen

(© Falk Weiß)

Naturwissenschaft trifft auf Kulturwissenschaft

Statt jeder für sich allein, soll im CSMB gemeinsam im Team geforscht werden. Forschende aus der Chemie, der Physik oder der Informatik sollen hier ebenso zu Hause sein wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Lebenswissenschaften oder den Kultur- und Designwissenschaften, die einen ganz anderen Blick auf Materialien haben. „Chemiker denken in der Regel in Molekülen, andere Wissenschaftler in ganz anderen Modellen“, erklärt Stefan Hecht. Von anderen Disziplinen lernen und gemeinsam – auch über Fächergrenzen hinweg und zusammen mit außeruniversitären Einrichtungen und innovativen Unternehmen – bessere Materialien entwickeln, so stellt sich Stefan Hecht erfolgreiche und zukunftsweisende Forschung im CSMB vor und möchte die Entwicklung innovativer Materialien auch mithilfe künstlicher Intelligenz beschleunigen.

150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Gründerinnen und Gründer arbeiten derzeit in den Laboren des CSMB. Sie alle verbindet ein Ziel: die Suche nach Materialien, die nachhaltige Zukunftslösungen ermöglichen. Dazu forschen sie an hocheffizienten Solarzellen, nachhaltigen Natrium-Ionen-Batterien, chemischen Energiespeichern oder druckbaren Organmodellen, mit denen Medikamente ohne Tierversuche getestet werden können. Dafür steht eine ausgezeichnete Infrastruktur für die Forschenden bereit: Elektronenmikroskope, die Materialien auf atomarer Ebene darstellen, innovative Drucktechniken oder Ultrakurzspektroskopie, mit der die schnellsten chemischen Prozesse im Femtosekundenbereich abgebildet werden können.

Forschen unter besten Bedingungen und über Fächergrenzen hinweg: am Materialforschungszentrum in Berlin Adlershof

(© Falk Weiß)

Schülerinnen und Schüler experimentieren mit

Nebenbei erfüllt das Forschungszentrum eine weitere Funktion, die dem Gründungsdirektor Stefan Hecht besonders am Herzen liegt: die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Bachelor- und Masterstudierende können hier Experimente für ihre Abschlussarbeiten durchführen und erhalten Einblicke in ein Forschungszentrum. „Unsere Forschung wollen wir aber auch für die Gesellschaft öffnen“, erzählt Feray Ünlü. Gemeinsam mit Prof. Dr. Amitabh Banerji, der Professor für Didaktik der Chemie an der Universität Potsdam ist, hat sie deshalb ein Programm für Schülerinnen und Schüler entwickelt. In 90 Minuten bauen sie eigenhändig eine Perowskit-Solarzelle im Labor und erleben damit ganz unmittelbar das Thema erneuerbare Energien. Beim Girls´Day im vergangenen April wurde das Programm erfolgreich getestet.

Dr. Marek Checinski entwickelt Katalysatoren, mit denen grünes Methanol produziert werden kann

(© Falk Weiß)

Baustein für eine grüne Methanolwirtschaft

Das Start-up von Marek Checinski steht beispielhaft dafür, wie sich Unternehmergeist und Forschung am CSMB mithilfe von Forschungskooperationen gegenseitig voranbringen können. Bisher wird bei der Herstellung von Methanol sehr viel Energie verbraucht und ist daher nur in sehr großen Anlagen, mit billigen fossilen Rohstoffen wirtschaftlich. 100 Megatonnen werden jährlich produziert – mit hohen Treibhausgasemissionen. „C1 Green Chemicals“ wird dagegen erneuerbare Quellen wie Biomasse nutzen, oder auch CO2, das in anderen Industrieprozessen als Abfall entsteht. Dank der neuen Katalysatoren ist die Synthese sehr effizient, energiesparend und in kleineren, dezentralen Anlagen möglich. Aus dem Labormaßstab möchte das Unternehmen nun schnell herauswachsen und künftig kontinuierlich große Mengen Methanol herstellen. Die erste Pilotanlage wird dafür bereits gebaut. Weitere Demonstrationsanlagen sollen zeitnah folgen und einen ersten Baustein für eine grüne Methanolwirtschaft bilden.

„Wie können wir die Welt verändern?“, fragt Stefan Hecht und liefert seine Antwort gleich mit: „Materialien sind die Treiber für jegliche Innovation.“ Das gelte ganz besonders bei dem Streben nach einer nachhaltigeren Nutzung der verfügbaren Ressourcen. Viele der Nachhaltigkeitsziele, die sich die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 gesetzt haben, ließen sich nur mit neuen Materialien erreichen, ist Stefan Hecht überzeugt. Dafür wünscht er sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das CSMB mit Leben füllen und die ihren Ideen an diesem Ort Gestalt verleihen, die im Team und über Fach- und Institutsgrenzen hinweg an einer neuen Form der Materialforschung arbeiten.

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