Forschungsfarm im Baukastenprinzip

Expedition: Kreislaufwirtschaft
Projektname: CUBES Circle

Platzsparend, energieeffizient, ressourcenschonend, digital unterstützt, mobil und stapelbar – so sehen Forschende der HU die Lebensmittelproduktion der Zukunft. In einem eigenen Forschungsbau können sie ihre Ideen nun praxisnah austesten und optimieren.

Die Freude steht Professor Christian Ulrichs an diesem Tag ins Gesicht geschrieben. Im Hörsaal in der Lentzeallee auf dem Campus Dahlem präsentiert er das Projekt, das mit einer Idee im Jahr 2016 begann und seit 2019 konkrete Formen angenommen hat. Viel Energie und Zeit hat der Professor für Urbane Ökophysiologie der Pflanzen mit seinem Team in dieses Vorhaben gesteckt. Heute, an einem regnerischen Tag Mitte April, kann er nun gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaft, der Politik und Praxis das akademische Richtfest der Forschungsfarm CUBES Circle feiern.

Auf dem Dahlemer Campus der Humboldt-Universität zu Berlin, zwischen den Gewächshäusern und den Freilandversuchsflächen des Albrecht Daniel Thaer-Instituts für Gartenbau- und Agrarwissenschaften, steht der Rohbau der zukünftigen Forschungsfarm. In wenigen Monaten soll sie ihren Betrieb aufnehmen, Gemüse, Fische und Insekten produzieren und dabei ganz nach dem Vorbild der Natur und dem Baukastenprinzip arbeiten.

Projektkoordinator Prof. Christian Ulrichs

(© Falk Weiß)

Nach dem Vorbild der Natur

„Die Natur kennt keinen Abfall“, erklärt Christian Ulrichs, Sprecher des Projekts. Dieses Prinzip bildet CUBES Circle in einem kleinen, in sich geschlossenen System nach. Die Grundlage bilden drei verschiedene Module, die intelligent miteinander vernetzt werden: Im FishCUBE wachsen Fische in großen Wassertanks heran, im PlantCUBE werden Tomaten, Paprika und weitere Gemüse gezüchtet und im InsectCUBE veredeln Larven der Soldatenfliege oder Mehlwürmer Bioabfälle zu wertvollen Proteinen und Fetten. Die drei Produktionseinheiten sollen gegenseitig voneinander profitieren. Die Nährstoffe werden im Kreislauf geführt: Das nährstoffreiche Fischwasser düngt die Pflanzen, die Insekten ernähren sich von den Pflanzenabfällen, aus den Insektenlarven wird proteinreiches Fischfutter gewonnen. Zahlreiche Sensoren überwachen Nährstoffkreisläufe, die Wasserqualität oder die Gesundheit der Organismen in den CUBES. Je nach Bedarf wird mit digitaler Hilfe automatisiert nachgesteuert. Zirkuläre Bioökonomie – so nennen die Forschenden das Grundprinzip, nach dem die Anlage Lebensmittel und auch Rohstoffe produzieren wird.

Soviel zu den Plänen. Bereits im Herbst werden die Organismen in die noch leeren Räume der Pilotfarm einziehen. „Der Forschungsbau ist ein Teil des Forschungsprozesses, der schon lange vor dem Bau begonnen hat“, sagt Christian Ulrichs. Davon können sich die Besucherinnen und Besucher des Richtfests selbst ein Bild machen. Im zukünftigen InsektCUBE etwa zeigt Dr. Wael Yakti von der Humboldt-Universität, wie weit die Vorbereitungen bereits vorangeschritten sind. In der Mitte des Raums summen und krabbeln unzählige Soldatenfliegen in einer kleinen Voliere aus Gaze. Die Larven dieser schwarzen, knapp zwei Zentimeter großen Fliegen sind bekannt dafür, dass sie alle möglichen organischen Materialien sehr effizient verwerten. Neben der Voliere steht ein Regal mit Schubläden, in denen sich die Larven in einem Substrat aus Kaffeeresten wimmeln. „Diese Larven sind erst eine Woche alt“, erklärt Wael Yakti. In dieser Zeit haben sie ihre Größe von weniger als einem Millimeter auf knapp einen Zentimeter vervielfacht und aus rund vier Kilogramm Futtersubstrat ein Lebendgewicht von etwa einem Kilogramm aufgebaut. Sie wachsen nicht nur sehr schnell und effizient, sondern lassen sich Nahrungs- und Pflanzenreste ebenso gut schmecken wie tierische Abfälle.

Insekten liefern vielfältige Rohstoffe

Derzeit testet Wael Yakti in seinem Labor, welche Ausgangsstoffe die Insekten besonders gut verwerten können. Dazu zermahlt er Blätter oder fermentiert sie, indem er Pilze auf den pflanzlichen Substraten wachsen lässt. Außerdem untersucht er, wie die produzierte Insektenbiomasse genutzt werden kann. Ein Teil wird vermahlen dem Fischfutter beigemischt und so wieder dem Nährstoffkreislauf des CUBES Circle zugeführt – ebenso wie der Insektenkot, der die Gemüsepflanzen düngt. Einige Insekten wie der Mehlwurm sind inzwischen sogar für die menschliche Ernährung zugelassen. Sie sind nicht nur proteinreich und gesund, sondern „schmecken auch gut, ähnlich wie Erdnuss“, sagt der Forscher. Die Verwertungskette geht noch weiter: Bis die Insekten ausgewachsen sind, häuten sie sich regelmäßig. Die zurückbleibenden Hüllen sind reich an Chitin und Melanin, die etwa potenzielle Grundstoffe für die Textilindustrie sind. Chitin kann auch als Pflanzenstärkungsmittel eingesetzt werden und die Erträge in der Landwirtschaft steigern. Aus den Fetten und Ölen der Tiere stellt die Kosmetikindustrie Seifen oder Cremes her. „Wir probieren gerade sehr viel aus, um alle Stoffe so gut wie möglich zu verwerten“, sagt Wal Yakti. Denn schließlich geht es genau darum: Alles soll genutzt, nichts soll verschwendet werden. So soll das Konzept von CUBES Circle künftig dabei helfen, Emissionen und schädliche Umwelteinflüsse der landwirtschaftlichen Produktion zu senken und gleichzeitig sehr hohe Erträge auf kleiner Fläche zu erwirtschaften.

Larven der Soldatenfliege sind wahre Alleskönner: Sie bilden aus organischen Abfällen wertvolles Protein, Chitin oder Öle und Fette.

(© Falk Weiß)

Gut eine Tonne Lebendgewicht Fisch pro Jahr – diese Erntemenge erwartet der Aquakulturforscher Christopher Shaw vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) bei voller Auslastung der gerade einmal 25 Quadratmeter großen Pilotanlage – dem FishCUBE. Er hat bereits Erfahrungen mit ähnlichen Systemen. Denn die Kombination von Gemüse- und Fischzucht – die sogenannte Aquaponik-Kultur – ist am IGB schon seit Jahren gut etabliert und erforscht. Das Knowhow der IGB-Forscherinnen und -Forscher fließt nun in die neue Forschungsfarm ein.

Insekten wie die Heuschrecke können Pflanzenreste aus den Gewächshäusern verwerten.

(© Falk Weiß)

Hier wachsen Wassersellerie und Hanf

„Wir verwenden Fischarten, die besonders gut für diese Art der Produktion geeignet sind“, erklärt Christopher Shaw. Das sind etwa der Afrikanische Raubwels, der auch an der Luft atmen kann, die Niltilapie, die bereits sehr erfolgreich in der Aquakultur und der Aquaponik genutzt wird, oder der Schwarze Pacu aus Südamerika. Alle drei Arten sind sehr stressresistent, vertragen sich mit vielen Artgenossen auf engem Raum, sind gute Futterverwerter, wachsen schnell und fühlen sich in Wasser mit hohen Nährstoffgehalten wohl. Die Futterpellets für die Tiere bestehen aus Fischschlachtabfällen und Insektenproteinen der Anlage. Außerdem kommen unterschiedliche Rohstoffe von außerhalb dazu – etwa Reststoffe aus der Geflügelindustrie – ein Experimentalfutter, mit dem die Forschenden vom IGB austesten, mit welcher Futterkombination die Fische am besten wachsen, welches Futter sie am besten verwerten und welche Zusammensetzung auch den Insect- und den PlantCUBE günstig beeinflusst. Denn die von den Fischen ausgeschiedenen Nährstoffe wirken auch dort – über den Aquakulturschlamm und das Fischwasser, die beide sehr nährstoffreich sind.

Die Forschenden testen in der Pilotfarm, welches Fischfutter am günstigsten für den gesamten Nährstoffkreislauf ist.

(© Falk Weiß)

Das Wasser des FishCubes wird laufend von Partikeln gereinigt, durch einen Biofilter aufbereitet und in einen Sammeltank gepumpt, in dem es für die jeweilige Pflanzenart optimiert wird. Schließlich gelangt es über Filter und Rohre eine Etage höher – in den PlantCUBE, wo Gurken, Tomaten, Salate oder Mangold in Hydrokultur wachsen sollen. Das System kommt ganz ohne Erde oder andere Substrate wie etwa Steinwolle aus. Die Wurzeln der Pflanzen ragen direkt in wasserführende Rinnen, die sie mit allem versorgen, was sie benötigen. Noch ist von diesem CUBE nichts zu sehen – denn das Pflanzengewächshaus soll erst in den kommenden Wochen über dem Fish- und InsectCUBE entstehen. Neben der Baustelle, in den Gewächshäusern des Instituts, laufen die vorbereitenden Forschungen dazu ebenfalls schon auf Hochtouren. Hier wachsen neben Gemüsesorten auch ungewöhnlichere Nutzpflanzen wie etwa Wassersellerie als allergenfreie Alternative zu herkömmlichem Sellerie oder Hanf, dessen Samen einen hohen Protein- und Faseranteil haben und sehr gut für die menschliche Ernährung geeignet sind. In Wachstumsversuchen testet das Forschungsteam verschiedene Lichtqualitäten aus, um die höchstmöglichen Erträge zu erhalten und Inhaltsstoffe der Pflanzen zu steuern.

Bei Bedarf wird automatisch nachgesteuert

Damit die Forschungsfarm ihren Zweck erfüllt und Nahrungsmittel in hoher Qualität, großer Menge und ressourcenschonend produziert, gibt es eine automatische Steuerungseinheit, die an der Technischen Universität Chemnitz entwickelt wurde. Dank zahlreicher Sensoren hat sie permanent im Blick, was in der Anlage geschieht. Temperatur, Nährstoffgehalte, Energie- und Wasserverbrauch oder CO2-Konzentrationen werden hier erhoben und ausgewertet. Bei Bedarf wird an den entscheidenden Stellschrauben – etwa der Menge an Fischfutter oder der Lichtintensität – nachgesteuert. Die Rechenmodelle dieser Einheit können anhand der erhobenen Daten und mithilfe von Big -Data-Analysen sogar ausrechnen, wann der optimale Erntezeitpunkt sein wird.

Hier wird getestet, wie gut Nährstoffe aus Insektenkor von den Pflanzen aufgenommen werden.

(© Falk Weiß)

Wenn Christian Ulrichs auf das Jahr 2016 zurückblickt, erinnert er sich daran, wie die Idee für eine neue, nachhaltige landwirtschaftliche Produktionsform langsam Gestalt annahm. „Es gab bei den zahlreichen Beteiligten zwei unterschiedliche Auffassungen: Die einen wollten mit Hightech alles lösen, die anderen wollten einen Schritt zurück zur Natur und waren überzeugt, dass sich die Probleme nur mit ökologischer Landwirtschaft lösen lassen.“ Christian Ulrichs war sich dagegen sicher: Ökologische Nachhaltigkeit und Hightech sind keine Gegensätze, sie lassen sich miteinander verbinden. „Wir sind dafür angetreten, die Ernährung von zehn Milliarden Menschen sicher zu stellen“, betont er. Dafür müssen neue Lösungen entwickelt werden.

Hinaus in die Welt

Wie also könnte ein Zukunftskonzept für die Lebensmittelproduktion aussehen, das Nachhaltigkeit mit technischen Lösungen ermöglicht? Die entscheidenden Ideen dazu seien während eines Biers mit einem Kollegen in einem Flughafenrestaurant in Kanada gekommen, erzählt Christian Ulrichs: „Wir müssen die Natur nachbauen und dabei verschiedene Ebenen des Nahrungsnetzes miteinander verknüpfen. Außerdem brauchen wir ein modulares System, um unabhängig und mobil zu sein.“

Nun nimmt dieses Konzept Gestalt an. Christian Ulrichs und sein Team hoffen darauf, dass die Forschungsfarm das Sprungbrett ist, das die Idee in die Welt hinausträgt. Denn – so die Überzeugung der Forschenden – das Konzept hat das Potenzial, die Landwirtschaft grundlegend zu wandeln, auf nachhaltige Füße zu stellen und den steigenden Bedarf zu decken. Vor allem in urbanen Zentren, in denen der Lebensmittelbedarf groß und der Platz knapp ist, können die CUBES viele Menschen mit Lebensmitteln versorgen. Zudem sind die in sich geschlossenen Systeme flexibel und können auch auf sehr trockenen und unfruchtbaren Standorten eingesetzt werden. Damit könnte CUBES Circle Nahrungsmittelproduktion dort sichern, wo Landwirtschaft bisher kaum oder nur mit sehr großem Aufwand möglich ist.

CUBES Circle ist eines von insgesamt acht Konsortien, das im Förderprogramm „Agrarsysteme der Zukunft“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Das Ziel der Fördermaßnahme ist es, Ideen für innovative, zukunftsfähige Systeme der Agrarwirtschaft zu erproben und zu erforschen. An CUBES Circle sind neben der Humboldt-Universität zu Berlin auch das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, die Technische Universität Berlin, die Technische Universität Braunschweig, die Technische Universität Chemnitz, die Hochschule Geisenheim University, die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und das Julius Kühn-Institut beteiligt.

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