Wenn Städte essbar werden
Expedition: Stadtgemüse
Projektname: Edible City Solutions
Das interdisziplinäre Team um die Wissenschaftlerin Ina Säumel untersucht, wie die Idee der urbanen Landwirtschaft noch besser wachsen und gedeihen kann. Denn die Produktion von Lebensmitteln in der Stadt hat jede Menge Vorteile. Sie ist klimafreundlich, schafft neue Lebensräume und stärkt den Zusammenhalt in den Wohnvierteln.
Die „Essbare Stadt“ hat viele Gesichter: Gemüsebeete auf Dächern, Spalierobst an Fassaden oder Champignonfarmen in Kellern. Manchmal ist sie hochmodern – etwa, wenn Aquaponikkultur Fisch- und Gemüsezucht ressourcenschonend miteinander kombiniert oder Vertikalfarmen platzsparend Salat produzieren. Tradition hat dagegen der Schrebergarten, wo auf kleinen Parzellen mit großem Enthusiasmus Gemüsesorten angebaut werden, die man in keinem Supermarkt findet. Genauso wie in Gemeinschaftsgärten, nur dass dort die Beete gemeinsam bestellt werden.
So unterschiedlich die Konzepte sind, alle verfolgen das gleiche Ziel: die Produktion von Lebensmitteln in der Stadt. Für die Wissenschaftlerin Ina Säumel ist die „Essbare Stadt“ ein spannendes Forschungsfeld. Und das gleich aus mehreren Gründen.
Gut für die Luft – und die Gemeinschaft
„Die „Essbare Stadt“ kann alle möglichen Probleme lösen“, sagt die Geografin und Biologin. Dort, wo gemeinsam gejätet und geerntet wird, wächst die Nachbarschaft zusammen. Nebenbei bewegen sich Kinder wie Erwachsene an der frischen Luft und lernen viel über Lebensmittel. In den urbanen Gärten finden Pflanzen und Tiere Lebensraum, die Biodiversität kann hier mitten in der Stadt überraschend hoch sein. Mehr Grün puffert außerdem Hitzewellen ab und sorgt für saubere Luft. Das Obst und das Gemüse werden entweder von den Anwohnerinnen und Anwohnern direkt verbraucht oder lokal verkauft. Damit entfallen lange Transportwege, der Ausstoß von Abgasen und Treibhausgasen sinkt. „Multifunktional“ nennt Ina Säumel diese urbane Landschaft, die auf sozialer, ökologischer und auch ökonomischer Ebene viele Vorteile bringt.
Alle sind gefragt
Im Forschungsprojekt EdiCitNet untersucht Ina Säumel mit ihrem Team am Integrativen Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) und in einem Netzwerk aus 33 Städten, welche Konzepte der „Essbaren Stadt“ besonders erfolgreich sind und wie die einzelnen Initiativen noch besser vernetzt und unterstützt werden können. Das Ziel ist es, „Essbare Städte“ weltweit zu etablieren, um die Lebensqualität insbesondere für benachteiligte Stadtbewohner zu verbessern und die Nachhaltigkeit von Städten insgesamt zu steigern.
Dafür schauen die Forschenden dorthin, wo „Essbare Städte“ bereits gut funktionieren, aber hinterfragen auch, warum einige Projekte scheitern. „Wir sind Beobachter“, sagt Ina Säumel, „und lernen dabei selbst ganz viel.“ Städte wie Heidelberg, Andernach oder Rotterdam berücksichtigen in ihrer Stadtplanung bereits Projekte für eine städtische Landwirtschaft. Deren Entfaltung wird aber oft durch gesetzliche Regularien gebremst. Damit die Integration in die Stadtplanung in Zukunft besser gelingt, schlagen Säumel und ihr Team einen Multi-Stakeholder-Ansatz (Fachartikel) vor, bei dem sämtliche Akteure – Verwaltung, Initiativen, Hausverwaltungen, Unternehmen und Grundstücksbesitzer – an der Realisierung mitwirken. „Co-Creation“ nennen sie diese Art der Zusammenarbeit, die durch sogenannte „City-Teams“ verwirklicht wird. „Es ist eine neue Form der demokratischen Beteiligung“, erklärt Säumel. Dabei werde das Wissen der Akteure gleichrangig behandelt, ob Expertenwissen oder das Erfahrungswissen der Anwohner.
Havanna und Oslo machen es vor
Ihre Erkenntnisse bereiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so auf, dass sie leicht zugänglich sind. So soll der Transfer in die Praxis gelingen. Am Ende steht eine Art Werkzeugkiste, die konkrete Hilfen und Anregungen für Stadtverwaltungen enthält. Initiativen und kleine Unternehmen, die städtische Landwirtschaft betreiben, werden durch Workshops oder Beratungen unterstützt.
Die Frage, ob eine Metropole wie Berlin tatsächlich einen wesentlichen Teil ihrer Nahrungsmittel selbst produzieren kann, müssen sich die Forschenden öfter stellen lassen. Dann empfiehlt Ina Säumel den Blick auf Vorreiterstädte wie Havanna oder Oslo. Die kubanische Hauptstadt hat bereits 1994 eine Strategie zur Selbstversorgung beschlossen und produziert mittlerweile die Hälfte der benötigten Lebensmittel organisch und direkt vor Ort. Ursprünglich aus wirtschaftlicher Not heraus entstanden, sind die unzähligen Gärten und Farmen heute nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken. Auch Oslo hat sich ganz der Idee der urbanen Landwirtschaft verschrieben, für die es sogar einen eigenen Entwicklungsplan gibt. In attraktiven Innenstadtbereichen hat die Stadt Raum für Gemeinschaftsgärten geschaffen. Hier können sich die Osloer bewerben, um auf Beeten ihr eigenes Gemüse zu ziehen. „Die Urban Gardening-Initiativen hatten von Beginn an einen guten Stand und wurden auch finanziell unterstützt. In der Stadtverwaltung ziehen alle an einem Strang“, beschreibt Ina Säumel die Grundlagen dieses Erfolgs. „Berlin kann das auch schaffen“, ist die Forscherin überzeugt. Wie das konkret gelingen kann, untersucht sie im Berliner Gutsgarten Hellersdorf, der dem Projekt als Freilandlabor dient.
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